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Donnerstag, 15. Dezember 2022

Weiterbetrieb des AKW Neckarwestheim
Schwere Niederlage der Anti-AKW-Bewegung vor dem VGH

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, geschlossene Türen - Foto: kyselak - Creative-Commons-Lizenzen 'Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert', '2.5 generisch', '2.0 generisch' und '1.0 generisch'
Die Klage gegen den Weiterbetrieb des AKW Neckarwest­heim wegen immer wieder neu auftretender Risse war bereits Ende 2020 eingereicht worden. Nachdem diese Klage nunmehr über 23 Monate anhängig war, teilte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Sitz in Mannheim nun heute mit, daß er die Klage abweist. Im Falle eines Super-GAU in diesem Atomkraftwerk tragen die VGH-RichterInnen eine schwere Mitverantwortung. Da Ministerin Thekla Walker und Ministerpräsident Winfried Kretschmann dieses AKW als sicher deklariert haben, tragen sie die volle Verantwortung.

Eingereicht hatten die Klage zwei AnwohnerInnen des AKW Neckarwestheim, die von der Anti-Atom-Organisation '.ausgestrahlt', vom BBMN (Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar e.V.) und von dem bekannten Fachmann Dieter Majer, dem ehemals höchsten Atomaufseher im Bundesumweltministerium, unterstützt wurden. Im Jahr 2020 hatten 38 Umweltschutzinitiativen und -verbände mit der "Neckarwestheimer Erklärung" die sofortige Stilllegung gefordert (Siehe hier).

Nach Ansicht der am Gerichtsverfahren beteiligten Atomkraft-GegnerInnen bestätigte sich in der vom VGH angeordneten ExpertInnen-Anhörung, daß im Falle des AKW Neckarwestheim gravierende Verstöße gegen Sicherheitskonzepte vorliegen. Auch die Existenz der Risse und die Tatsache, daß Jahr für Jahr neue Risse gefunden wurden, sind nicht abzustreiten. De facto handelt es sich um einen Dauer-Störfallbetrieb. Bereits vor viereinhalb Jahren wurden Risse an den Heizrohren in den vier Dampferzeugern entdeckt. Deren Zahl beläuft sich nunmehr auf über 350.

Armin Simon von '.ausgestrahlt' erklärte hierzu: "Die Verhandlung vor dem VGH hatte die zahlreichen Abweichungen gegen Sicherheitsregeln im AKW Neckarwestheim bestätigt. Der Reaktor, in dem sich bereits mehr als 350 Risse gebildet haben, wird seit Jahren regelwerkswidrig betrieben. Systematische Fehler, die zu schweren Störfällen bis hin zur Kernschmelze führen können, werden nicht behoben. Schnell wachsende Risse an dünnwandigen Rohren des Reaktorkreislaufs werden entgegen der Vorschriften nicht verhindert. Das baden-württembergische Umweltministerium und seine Gutachter räumten vor Gericht ein, daß »die Rissmechanismen weiterhin aktiv« seien." Laut deren eigenen Aussagen sei das Risiko aber durch gewisse "Maßnahmen" beherrschbar. Und bei einem Abriß eines oder mehrerer der von Rissen betroffenen Rohre könne "schnell genug" reagiert werden. Diese Aussagen stellen jedoch die - leider nur auf dem Papier existierenden - Sicherheitsprinzipien des Atomrechts auf den Kopf.

Die VGH-RichterInnen befanden, die von den Rissen ausgehende Gefahr sei nicht groß genug, um in die Entscheidungen der Atomaufsicht einzugreifen. Das "Umwelt"-Ministerium, dem die Atomaufsicht untersteht, dürfe ungeachtet der nachgewiesenen Regelverstöße am Weiterbetrieb des Reaktors festhalten, wenn es diesen für "sicher" erachte. Das Gericht verzichtete damit auf die der Gewaltenteilung innewohnende Kontrollaufgabe der Justiz.

In einer Stellungnahme von '.ausgestrahlt' und BBMN heißt es: "Was die Sicherheit vor Atomunfällen angeht, ist das ein schwarzer Tag." Die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung müßten schwerer wiegen als die Profitinteressen des AKW-Betreibers EnBW, zumal dieser weit überwiegend in öffentlichem Besitz ist.

Die Auffassung des Gerichts, daß der Weiterbetrieb des Reaktors trotz des laxen Umgangs mit den Sicherheitsregeln und der weiter auftretenden und noch zunehmenden Risse im Ermessen der Behörde liege, ist mit der vom Bundesverfassungsgericht verlangten "bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge" im Atombereich nicht in Einklang zu bringen. '.ausgestrahlt' und BBMN kündigten daher an, Rechtsmittel gegen das Urteil zu prüfen. Einer der beiden Kläger, der 15 Kilometer von Neckarwestheim entfernt wohnt, erklärte bereits heute (15.12.2022), daß er auch in Anbetracht der nunmehr für Mitte April versprochenen Stilllegung des AKW seine Rechtsmittel ausschöpfen wolle: "Die Katastrophe kann jeden Tag passieren."

Mehrmals in der Verhandlung konnte der Eindruck entstehen, viele der Maßnahmen zur Minderung der Risiken durch die Risse, auf die sich EnBW und Atomaufsicht beriefen, seien nur deshalb gemacht worden, weil Atomkraft-GegnerInnen seit jetzt bereits viereinhalb Jahren immer wieder auf die Gefahr hingewiesen haben. Ob dabei tatsächlich das Risiko, das vom AKW Neckarwestheim ausgeht, verringert werden konnte, steht allerdings dahin.

Manche Atomkraft-GegnerInnen sind nach diesem VGH-Urteil der Ansicht, die zuständige baden-württembergische Ministerin Thekla Walker sei ihrer Aufgabe "nicht gewachsen". Thekla Walker verfügt jedoch über einen zahlenmäßig mehr als ausreichenden Stab an MitarbeiterInnen und sie hatte - zumindest im Laufe des Gerichtsverfahrens - zweifellos die Möglichkeit, sich umfassend zu informieren. Objektiv - und gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtig omnipräsenten Korruptionsfälle - stellt sich daher die Frage: Ist Thekla Walker unfähig oder korrupt?