Rede von Mika Kumazaki am 9. März 2013 in Freiburg
Liebe Leute in meinem Heimatland,
zwei Jahre sind vorbei. Zwei Jahre - Was bedeutet das? Heißt es, daß die Katastrophe schon vorbei ist? Daß die Reaktoren schon gesichert sind? Daß niemand mehr darunter leidet? Natürlich ist das alles falsch.
Ich frage mich immer wieder, wie ich die Tatsache verstehen kann, daß mehr als 300.000 Kinder immer noch in Fukushima leben, wo die Radioaktivität teilweise höher ist als in einem Strahlenschutzbereich. Vor dem 11. März 2011 durfte man einen Strahlenschutzbereich nur für die atomare Forschung oder eine ärztliche Behandlung betreten, und man durfte nur möglichst kurz dort bleiben und nichts essen und trinken. Das ist japanisches Gesetz und gilt immer noch. Warum müssen die Kinder zwei Jahre lang an so einem Ort leben, als wären die Bewohner nach der Katastrophe plötzlich gegen Verstrahlung resistent geworden?
Bei einer Gesundheitsuntersuchung für die Kinder in Fukushima sind drei Fälle von Schilddrüsenkrebs gefunden worden. Bei sieben weiteren Kindern ist die Wahrscheinlichkeit hierfür hoch. Untersucht wurden 38.000 Kinder in den Gemeinden in der Nähe des AKWs Fukushima Daiichi. Weitere 320.000 Kinder werden untersucht. Normalerweise wird ein Schilddrüsenkrebs unter 1 Million Kindern gefunden. Dies ist deutlich erhöht und voraussichtlich steigt die Zahl dieses Jahr noch. Professor Yamashita, der offizielle Gesundheitberater, welchen die Regierung nach der Katastrophe nach Fukushima geschickt hat, behauptet jedoch, das habe mit dem Einfluß der Verstrahlung nichts zu tun. Die Auswirkung der niedrigen Strahlung käme erst später. Bis jetzt gäbe es keine Statistik des Kinderkrebses, so daß man nicht feststellen könne, ob die atomare Katastrophe diese Erkrankung verursacht habe. So etwas kann ich auch nicht verstehen.
Die japanische Regierung plant, dort die Evakuierungszone aufzuheben, wo die Strahlendosis unter 20 Milli-Sievert liegt. Dort wird fleißig mit viel Steuergeld entseucht, obwohl man nirgendwo diese Menge verstrahlten Materials lagern kann. Neulich ist es auch ans Licht gebracht worden, daß die Arbeiter kontaminiertes Wasser oder Pflanzen einfach in einen Fluß entsorgt haben. Das war kein seltener Fall. Außerdem hat solche Dekontamination keine echte Wirkung. Wenn es regnet, nachdem die Straße „sauber“ gemacht wurde, kommen erneut radioaktive Stoffe vom Berg. So können die Baufirmen immer wieder Geschäfte machen, ohne Ende haben sie eine Geldquelle. Mit der Ausrede, daß es entseucht ist oder wird, müssen die Bewohner dort bleiben. Was die japanische Regierung eigentlich machen sollte, sind noch weitere Evakuierungen. Aber das wird nicht gemacht, weil alle Gefahren verharmlost werden sollen und weil das Ziel einer allgemeinen Unterschätzung der Schädigung besteht, um aus Profitgier noch einmal die Reaktoren ans Netz bringen zu können
Das alles kann ich nicht verstehen. Aber was ich wirklich nicht verstehen kann, meine lieben japanischen Landesleute, ist Euer Desinteresse. Warum könnt Ihr so gelassen bleiben, obwohl 160.000 Leute ihre Heimat verlassen mussten? Obwohl viele Mütter unter einem schlechtem Gewissen leiden, weil sie in Fukushima bleiben und dadurch ihre Kinder unnötig verstrahlen lassen. Obwohl viele Flüchtlinge, die sich entscheiden, aus Fukushima fortzuziehen, immer wieder Gewissensbisse bekommen, weil sie andere Leute dort an einem gefährlichen Ort verlassen haben. Weil ihre Kinder gefragt haben: "Warum fliehen wir alleine? Meine Freunde bleiben noch hier!" Warum denkt ihr nicht daran, daß noch Schlimmeres passieren kann, wenn noch einmal ein großes Erdbeben den kaputten Reaktor 4 mit 1.535 verbrauchten Kernbrennstoff-Stäben erschüttert? Warum könnt ihr immer noch glauben, was eine Regierung sagt, die keine Verantwortung dafür übernimmt, die Atompolitik gefördert zu haben?
Warum seht ihr nicht, daß die Atomlobby das Land beherrscht.
Wir leben in keiner demokratischen Gesellschaft. Die Förderer des AKWs machen ständig Druck auf Politik und Medien. Sie werben für die Meiler unter dem Motto "sichere billige Stromversorgung" und versuchen, die Schäden in Fukushima zu verharmlosen. Wenn man dagegen nichts machen würde, dann könnte das Land so manipuliert werden, wie die Lobby es will. Ihr müßt selbst auf die Straße gehen und laut sagen, was ihr wollt. Ihr müßt Euch selbst informieren und gegen die Kampagne der Atomlobby kämpfen. Demokratie funktioniert nicht mehr, oder funktionierte bis jetzt vielleicht nie.
Bitte überzeugt Euch mit Euren eigenen Augen. Bitte zögert nicht, aufzustehen. Wenn ihr die Leute, die schon protestieren, nicht unterstützt, bedeutet das, daß Ihr die Leute im Stich laßt und isoliert. Dafür wären die Atombefürworter Euch sehr dankbar.
Wir leben nicht in einer friedlichen Welt, denn aus Gier wird versucht, jeden möglichen Gewinn ohne Rücksicht auf uns zu realisieren. Schaut Euch die verrückte Wahrheit an, daß es tatsächlich solche Personen gibt, denen für ihren Gewinn egal ist, ob das Schiff sinken wird, auf dem wir leben. Seid nicht gehorsam, seid mutig. Seid nicht zu lieb und
seid verantwortich für euren Nachwuchs. Was bedroht ist, sind die Kinder, unsere Zukunft, unser schönes Land und unsere Heimat.
Ich möchte auch noch etwas an die Atomgegnerinnen und Atomgegner im Dreyeckland sagen.
Schön, daß es in Deutschland schon viel für die Energiewende gemacht wurde. Schön, daß Ihr auf dem Weg des Atomausstiegs geht. Aber, ihr wißt auch, daß die Landesregierung weiter die Forschung für die Atomtechnik unterstützt. Ihr wißt ja, daß Baden-Württemberg beim Stromverbrauch fast zur Hälfte von Atomkraft abhängig ist, während in Japan nur zwei Meiler von insgesamt 50 am Netz sind. Und ihr wißt ja, was der deutsche Atomausstieg ohne Fukushima wäre. Ihr müßt immer noch auf der Hut sein, denn die Mächtigen haben noch nicht auf alles verzichtet.
Und denkt bitte daran, daß die ganze Welt Euch zuschaut, ob ihr wirklich die Energiewende schafft. Es ist so, egal ob ihr es wollt oder nicht. Wenn hier immer wieder behauptet wird, daß erneuerbare Energien teure Strompreis veursachen, dann freuen sich in Japan die Energiewendegegner, weil sie damit eine negative Kampagne machen können. Wenn ihr neue Kohlekraftwerke baut, sagt man in Japan, Deutschland könne deswegen aus AKW außteigen, weil es Bodenschätze habe. Es ist wirklich so. Ihr habt quasi die ganze Verantwortung für die Energiewende in aller Welt. Aber das ist auch eine Chance für Euch, denn auf diesem Weg muß man früher oder später gehen, weil sonst keine nachhaltige Zukunft gibt. Und je früher man sich daran orientiert, desto besser natürlich.
Als die Sklavenbefreiung in England angefangen hat, haben viele behauptet, ohne Sklaverei würden alle arbeitslos. Als Rachel Carson das Buch 'Silent Spring' gegen das DDT geschrieben hat, hat es großen Gegenwind gegeben. Aber diese Beispiele geben uns Hoffnung, daß wir Menschen schon einige Male die richtigen Schritte geschafft haben. Und wir schaffen es wieder, müssen es wieder schaffen. Und zwar sofort, bevor es weitere Opfer kostet. Genug ist genug. Fukushima soll die letzte atomare Katastrophe bleiben.
Anhören: https://rdl.de/sites/default/files/legacy/images/stories/audio_mp3/20130311-antiatomme-17951.mp3
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