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Dienstag, 28. März 2023

Vortrag
AKW-Laufzeitverlängerung oder Energiewende?

Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Foto: Klaus Schramm - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0
Christian Meyer ging in seinem Vortrag der Frage nach, welche Gefahren der Energiewende hin zu hundert Prozent erneuerbaren Energien drohen. Mit gesicherten Fakten belegte er die Aussage: "Atomenergie blockiert die Energiewende."

Im Februar 2022 nahm die EU-Kommission sowohl Atomenergie als auch Erdgas offiziell in ihre Taxonomie auf. (Wir hatten bereits am 1. Januar 2022 auf diese Pläne von EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen hingewiesen.) Christian Meyer hob hervor, daß die EU-Taxonomie dazu dient, die Atomenergie als "nachhaltig" zu deklarieren. Zugleich werde damit festgelegt, welche Finanzinvestitionen als "klimafreundlich" eingestuft und damit zugleich indirekt subventioniert werden.

Auch aus Sicht der österreichischen Regierung konterkariert dies den Klimaschutz. Zugleich aber beschwört die EU immer wieder den Klimaschutz als Ziel. Selbst Investoren, die sich für nachhaltige "Finanzprodukte" engagieren, kritisieren die EU-Taxonomie. Um die Atomenergie in die EU-Taxonomie eingliedern zu können, kam das Fake-Argument zum Einsatz, Atomenergie rette das Klima. Christian Meyer stellte dem als eine der Kernthesen seines Vortrags entgegen: Atomenergie ist kein Klimaretter. Sie blockiert zudem den dringend notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien.

Christian Meyer berief sich dabei unter anderem auf die Argumente-Sammlung https://www.100-gute-gruende.de/gruende/klimaschutz. Atomenergie ist nachweislich bei weitem nicht CO₂-frei. Sowohl beim Abbau des für den Betrieb von Atomkraftwerken nötigen Urans als auch infolge des Einsatzes von fossilen Energieträgern wie beispielsweise Diesel im weiteren Verlauf der Verarbeitungskette (Bergwerk, Konversion, Uran-Anreicherung, Herstellung von Brennelementen) als auch schließlich nach Stilllegung der Atomkraftwerke bei der Lagerung des hochradioaktiven Atommülls für Millionen Jahre entsteht CO₂. Pro Kilowattstunde erzeugten Strom setzt Atomenergie daher deutlich mehr CO₂ frei als erneuerbare Energien.

Da jeder Euro für die Minderung der CO₂-Emissionen nur einmal ausgegeben werden kann, stellen sich zwei Fragen:
1. Wo kann das Geld nutzbringender eingesetzt werden?
2. Wo ist die Investition für die gesamte Gesellschaft weniger riskant?

Es ist also offensichtlich, daß das Argument, Atomkraft diene dem Klimaschutz, allein dazu dient, einer Branche, die auf dem absteigenden Ast befindet, Finanzmittel zu beschaffen. Christian Meyer verwies auf den aktuellen Bericht des französischen Rechnungshofs, wonach allein für den Weiterbetrieb der 56 völlig überalterten Atom-Reaktoren in den 18 französischen Atomkraftwerken bis 2030 rund 100 Milliarden Euro benötigt werden. Schon in der Vergangenheit konnten Atomkraftwerke niemals profitabel betrieben werden, sondern mußten mit Steuergeldern subventioniert werden. Christian Meyer berief sich zudem auf die 'Zeit', die am 9. Januar 2022 veröffentlichte, daß bis 2050 EU-weit rund 500 Milliarden Euro für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke aufgebracht werden müßten. Dabei sind gegenwärtig von insgesamt 27 EU-Staaten 14 atomenergie-frei - also die Mehrheit (Deutschland zählt aktuell zu den 13 AKW-Staaten).

Doch auch wenn Deutschland aus der Atomenergie ausgestiegen sein wird (wann immer dies in der Realität stattfindet), ist die Mitfinanzierung der Atomenergie in der EU durch Deutschland per sogenannten "Green Deals" und über den Umweg EURATOM keineswegs beendet. Christian Meyer machte ausdrücklich darauf aufmerksam, daß noch ein dritter Finanzierungspfad existiert: Auch über den "EU-Wiederaufbau-Fond" fließen deutsche Steuergelder in die Taschen der Atom-Branche.

In einem weiteren Abschnitt seines Vortrags ging Meyer darauf ein, daß sich die französische Stromversorgung trotz - oder: gerade wegen - des hohen Anteils des AKW-Stroms in den vergangenen Jahren als sehr unsicher erwiesen hat. Im Juli 2022 waren sogar 29 der 56 französischen Atom-Reaktoren abgeschaltet. Zugleich ist auf der Verbrauchs-Seite die Abhängigkeit von Strom sehr hoch. Anders als in vielen anderen europäischen Staaten heizt rund einem Drittel der französischen Haushalte mit Strom: 4,3 Millionen Haushalte.

Der französische Strom-Konzern und AKW-Betreiber EdF wies im Jahr 2020 einen Schuldenstand von mehr als 41 Milliarden Euro auf. Im Jahr 2022 stieg die Verschuldung nach offiziellen Angaben auf rund 60 Milliarden Euro. Im Juli 2022 kündigte die französische Regierung die Verstaatlichung von EdF an. Draufhin stieg der Aktienkurs um 82 Prozent.

Grafik 1 - Aktienkurs EdF - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

An der Leipziger Strombörse (Großhandel) stieg der Strompreis im Herbst 2022 von rund 70 Cent pro kWh um über einen Euro auf in der Spitze 1,76 Euro pro kWh. Danach hat er sich auf einem Niveau von rund 1 Euro pro kWh eingependelt. Bei neuabgeschlossenen Stromverträgen im Jahr 2023 muß bis zu 1,11 Euro pro kWh gezahlt werden.

Grafik 2 - Strompreis an der EEX - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Beim Preis für Erdgas gab es im Vergleichszeitraum zwar ebenfalls einen starken Preisanstieg - allerdings auf einem im Vergleich zum Strompreis viel niedrigeren Niveau.

Grafik 3 - Gaspreis-Anstieg 2022 - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Bei neuabgeschlossenen Gasverträgen im Jahr 2023 muß bis zu 0,26 Euro pro kWh bezahlt werden.

Die Ursache für die Strompreis-Explosion: Wegen des Ausfalls von zeitweilig über der Hälfte der französischen Atom-Reaktoren und der Abhängigkeit eines Großteils der französischen Haushalte von der Stromversorgung für die Heizung der Wohnungen, mußte Frankreich viel Strom importieren. Ein große Nachfrage nach Strom auf dem europäischen Markt trieb den Preis nach oben.

Im Winter erfordert der Strombedarf in Frankreich in der Spitze eine Leistung von rund 88.500 MW:

Grafik 4 - Stromnachfrag in Frankreich - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Hiervon entfallen allein auf die Elektro-Heizungen mehr als 34.100 MW. Ohne diesen allein durch die Elektro-Heizungen verursachten höheren Leistungsbedarf läge die nötige maximale Leistung bei 54.400 MW. Der Lastanstieg im Winter in Frankreich in Höhe von 34.100 MW entspricht also einem Anstieg um 63 Prozent. Hierfür müssen rund 30 der insgesamt 56 französischen Atom-Reaktoren bereit gehalten werden.

Im Vergleich hierzu werden in Deutschland aktuell lediglich 4 Prozent aller Haushalte mit Strom beheizt. Dies verursacht hierzulande einen winterlichen Lastanstieg um rund 14 Prozent - also rund 11.000 MW. Dies entspricht der Leistung von rund 10 Atom-Reaktoren oder 20 Kohlekraftwerks-Blöcken.

Würde in Deutschland der Heizungsbedarf zukünftig allein mit den derzeit propagierten elektrischen Wärmepumpen gedeckt, erfordert der zusätzlichen Strombedarf laut Christian Meyer zusätzliche Kraftwerks-Leistung in Höhe von rund 120.000 MW. Um dies durch Strom aus erneuerbaren Energien zu decken, müßte deren Leistung also um das 12-fache gesteigert werden. Hinzu käme das Problem, daß der Strombedarf der elektrischen Wärmepumpen dann am höchsten ist, wenn Photovoltaik und Windenergie am wenigsten liefern. Die Stromspeicher-Technologien müßten also ebenfalls gigantisch ausgebaut werden. Ein massiver Zubau von elektrischen Wärmepumpen zum Zwecke der Hausheizung wäre also offensichtlich ein probater Weg, um die Energie-Wende an die Wand zu fahren.

Christian Meyer stellte diesen von Medien und von parteipolitischer Seite beworbenen Pfad einen aus fachlicher Sicht realistischen Weg zur Durchsetzung von 100 Prozent erneuerbare Energien entgegen. Grundlage hierfür ist eine Betrachtung der Energieformen, die tatsächlich benötigt werden:

Grafik 5 - Energiebedarf im Haus nach Anwendungsbereichen - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Hierbei sticht ins Auge, daß Raumwärme mit 71 Prozent den weitaus größten Teil der gesamten Energie beansprucht. Es ist also angesagt, diesen Anteil vorrangig durch erneuerbare Energien und möglichst emissionsfrei zu decken.

Betrachten wir die drei Sektoren Wärme, Mobilität und Strom, so ist gesamtgesellschaftlich in Deutschland der Energiebedarf beim Strom mit 550 TWh pro Jahr deutlich kleiner als der für Mobilität (720 TWh pro Jahr) und als jener für Wärme (1.300 TWh pro Jahr).

Grafik 6 - Vergleich Wärme * Verkehr * Strom - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Der Sektor Strom hat also derzeit vom gesamten Energiebedarf mit insgesamt 2.570 TWh pro Jahr lediglich einen Anteil von rund 20 Prozent.

Betrachten wir die Sektoren in Hinblick auf ihren Anteil an den Treibhausgas-Emissionen:

Grafik 7 - Anteile der Sektoren an den THG-Emissionen - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Dabei fällt auf, daß der Sektor Gebäude lediglich einen Anteil an den Treibhausgas-Emissionen von rund 15 Prozent hat. Betrachten wir dies im Zusammenhang:

Grafik 8 - Größenverhältnisse Wärme - Strom - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Während Strom am gesamten Energiebedarf Deutschlands nur einen Anteil von 20 Prozent hat, trägt er zu rund 45 Prozent der Treibhausgas-Emissionen bei. Ein umgekehrtes Verhältnis zeigt sich bei der Wärme: Für die Wärmeerzeugung muß derzeit 50 Prozent der Gesamtenergie eingesetzt werden, doch an den Treibhausgas-Emissionen haben die Haus-Heizungen lediglich einen Anteil von 15 Prozent.

Ein großes Problem im Wärme-Sektor besteht darin, daß die Abwärme bei Großkraftwerken meist nicht genutzt wird. Oft ist sie deshalb nicht nutzbar, weil die Kraftwerke in dünn besiedelten Gebieten errichtet wurden und daher weder Fernwärme- noch Nahwärmenetze in Frage kommen.

Grafik 9 - Energieflußbild - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Insgesamt liegt der Wärmebedarf in Deutschland bei rund 1.500 PJ. Dem stehen rund 2.500 PJ an Abwärme bei der Stromerzeugung - also das 1,7-Fache - gegenüber. Weit überwiegend wird diese Abwärme an die Umwelt und an Flüsse abgegeben. Positive Ausnahmen sind das Steinkohlekraftwerk GKM Mannheim, dessen neun Blöcke bei einer Leistung von 2000 MW durch Kraft-Wärme-Kopplung auch Fernwärme für rund 120.000 Haushalte zur Verfügung stellen, und das Steinkohlekraftwerk Staudinger, bei dem in vier von sechs Blöcken Abwärme für die Fernwärmeversorgung genutzt wird.

Allerdings ist hier zu berücksichtigen:
Das GKM Mannheim produziert Strom für rund 2,5 Millionen Menschen, Gewerbe und Industrie. Im Bereich um das Kraftwerk - in Umkreis von Mannheim und Heidelberg - leben lediglich rund 500.000 Menschen. Auch hier wird also der größte Teil der Abwärme nicht genutzt.

Im Falle des Steinkohlekraftwerks Staudinger werden rund 1 Million Menschen mit Strom versorgt. In dessen Umkreis - Hanau, Großkrotzenburg u.s.w. - leben aber nur rund 0,12 Millionen.

Einer der wichtigsten Schritte bei der Realisierung der Wärme-Wende ist daher die Dezentralisierung der Wärmeerzeugung. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Kraft-Wärme-Kopplung, bei der in kleinen Blockheizkraftwerken sowohl Strom als auch Wärme erzeugt wird.

Bei einer dezentralen Nutzung der Abwärme in Blockheizkraftwerken können alle Haushalte zugleich mit Strom und mit Wärme versorgt werden. Rund 40 Prozent des heutigen Energieverbrauchs kann so laut Christian Meyer ersetzt werden - und hierbei würden die Treibhausgas-Emissionen entsprechend sinken.

Wenn allerdings für den Wärmebedarf von Häusern Geothermie und elektrische Wärmepumpen eingesetzt werden, macht dies die Abwärmenutzung unmöglich. Niedertemperaturheizungen und Blockheizkraftwerke sind nicht kompatibel. Mit dem Einsatz von Geothermie und elektrische Wärmepumpen wird die Energie-Wende blockiert. Geothermie und elektrische Wärmepumpen sind zudem Technologien, die nicht benötigt werden.

Blockheizkraftwerke können nach und nach auf den Betrieb mit Wasserstoff umgestellt werden. Stadtgas bestand in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu 50 bis 60 Prozent aus Wasserstoff. Heute kann Wasserstoff per Elektrolyse mit Hilfe von erneuerbaren Energie wie Wind und Photovoltaik hergestellt werden.

Blockheizkraftwerke werden schon seit vielen Jahren zu einem großen Teil mit Biogas betrieben. Der Ökostrom-Anbieter EWS bietet einen Gastarif mit erheblichem Anteil von Biogas an. Greenpeace Energy (mittlerweile umbenannt in Green Planet Energy) setzt sich stark für den Aufbau von Elektrolyseuren zur Gewinnung von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien und die Einspeisung dieses "grünen Wasserstoffs" ins Erdgasnetz - "Power to Gas" - ein. Auch die Abwärme von Elektrolyseuren kann in der Praxis genutzt werden, wie diese Beschreibung eines Pilot-Projekt aufzeigt:

Grafik 10 - Ist-Zustand * Pilot-Projekt - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Bei einem deutlich geringeren Einsatz von Energie aus Windkraftwerken und Photovoltaik kann ebenso viel Wärme erzeugt werden - breiter Pfeil in orangem Farbton oben und unten (Ist-Zustand). Auch die Breite des grünen Pfeils - Strom für Industrie und Haushalte - ist oben wie unten gleich. Der höhere Energieeinsatz aus Atomkraftwerken und fossilen Kraftwerken im unteren Teil der Grafik (Ist-Zustand) hat lediglich zur Folge, daß mehr ungenutzte Energie als Abwärme verschwendet wird - breiter grauer Pfeil. Zugleich werden hierbei große Mengen an Treibhausgasen freigesetzt.

Auch bei dem für eine Übergangszeit nötigen Einsatz von Erdgas kann die Emission von Klimagasen von der negativen zu einer positiven Bilanz gedreht werden - wie das Beispiel Spanien zeigt. Das bei der Erdöl-Förderung - beispielsweise im Niger-Delta - abgefackelte Begleitgas kann nach Europa transportiert werden und ist im Vergleich zu US-amerikanischem Fracking-Gas konkurrenzfähig. Die bei der Nutzung von Begleitgas vermiedene Verbrennung von Erdgas aus Rußland wird in der Bilanz gutgeschrieben und führt im Fall Spaniens zu einer positiven Bilanz - hier in der Grafik ist die Einsparung im Vergleich zur Freisetzung von Klimagas-Emissionen negativ dargestellt (Balken nach unten):

Grafik 11 - Vergleich Begleitgas THG-Emissionen - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Woraus resultieren die Hindernisse, die der Energie-Wende zu 100 Prozent erneuerbaren Energien entgegenstehen? Die großen Energie-Konzerne sind durch die Energie-Wende in ihrer Existenz gefährdet. Der Pionier der erneuerbaren Energien, Hermann Scheer, hat im Jahr 2005 - fünf Jahre vor seinem Tod - vorhergesagt, daß der Widerstand des "atomar-fossilen Energiesystems" dann am heftigsten wird, wenn die Entscheidung auf der Kippe steht. Mittlerweile liegt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bei knapp unter 50 Prozent. Hermann Scheer befürchtete, daß diese Kräfte auch dann weiter zu blockieren versuchen, wenn sie genau wissen, daß sie nicht mehr gewinnen können. Ihnen ist unsere Zukunft gleichgültig, ähnlich wie einem Junkie, der von der tägliche Heroin-Spritze abhängig ist. Hermann Scheer warnte davor, daß wir den Zeitpunkt verpassen. Wenn wir nicht rechtzeitig eine 100-prozentige Versorgung durch erneuerbare Energien realisieren, besteht die akute Gefahr, daß "der bevorstehende Untergang des etablierten Energiesystems die Gesellschaft mit in den Abgrund reißt".

Christian Meyer sagte in seinem Vortrag lapidar: "Es geht um sehr viel Geld." Beim Stromverkauf ist der Rohertrag der Energie-Konzerne um den Faktor 8 größer als bei anderen vergleichbaren Geschäften. Laut Meyer werden die meisten Gutachten in diesem Themenbereich von LobbyistInnen geschrieben oder beeinflußt. Dabei wird zugleich bewußt Desinformation betrieben. Korrekte Informationen und Falsch-Informationen werden durcheinander gewürfelt. Bilanz-Grenzen werden willkürlich geändert, Begriffe wie Brutto- und Nettostromerzeugung verwechselt, wichtige Größen wie Lastbedarf, Verluste, Eigenbedarf, Spannungsebenen und Transportentfernungen unberücksichtigt gelassen oder falsch angesetzt.

Gerade in Hinblick auf die Propaganda für elektrische Wärmepumpen wird viel Manipulation betrieben:

  • Es werden Umwandlungsverluste beim Strom nicht berücksichtigt
  • Beim COP werden fiktive Temperaturen für die Außenluft - beispielsweise 7°C - oder für die Vorlauftemperatur - beispielsweise 30°C - angesetzt, statt mit realen Temperaturen zu rechnen. Die im Vergleich zum COP viel aussagekräftigere Systemjahresarbeitszahl wird verschwiegen.
  • Legionellenschutz (unabdingbar bei Niedertemperaturheizung) bleibt unberücksichtigt.
  • Es werden Durchschnittswerte eingesetzt, die aber für Zeiten mit hohem Wärmebedarf irreführend sind, ein COP von 3,5 oder es fehlen Werte zur tatsächlichen Stromerzeugung und zur realen Treibhausgas-Emission.
  • Nebenverbraucher wie beispielsweise für Enteisung und elektrische Direktheizung bleiben unberücksichtigt.

Von daher sei es laut Meyer kein Wunder, wenn Laien und PolitikerInnen bei diesem "bewußten Durcheinander" den Überblick verlieren. Hinzu kommen allerdings auch politische Seilschaften bis ins Bundesministerium für Wirtschaft und Klima.

Als Beispiel hier die Analyse einer Grafik des Energie-Konzerns RWE:

Grafik 12 - Beispiel für Desinformation - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Mit der Breite des braunen Pfeils (beim Eintrag 115,0) im Verhältnis zu der des roten Pfeils (114,0 TWh) wird suggeriert, daß der Abwärmeverlust vernachlässigbar gering ist. Entsprechend der Realität und korrektem Verhältnis zur Breite des roten Pfeils müßte der braune Pfeil jedoch so breit sein wie mit dem braunen Querbalken dargestellt.

Grafik 13 - Realität und Fake bei elektrischen Wärmepumpen - Vortrag von Christian Meyer, 28.03.2023 - Grafik: Christian Meyer - Creative-Commons-Lizenz Namensnennung Nicht-Kommerziell 3.0

Auf der rechten Seite ist hier eine häufig bei der Werbung für elektrische Wärmepumpen verwendete schematische Darstellung wiedergegeben. In der Realität werden jedoch nicht etwa wie hier angegeben von 100 Prozent Hausheizung rund 75 Prozent aus Erdwärme gewonnen, sondern in der Regel allenfalls 30 bis 40 Prozent. Bei 75 Prozent Anteil aus Erdwärme wäre die Jahresarbeitszahl = 4. Dies kann in der Realität bei weitem nicht erreicht werden.

Auch die Darstellung in diesem Schema, daß der Primärenergie-Faktor bei ca. 2,6 läge - also: daß bei 65 Einheiten Primärenergie nur 40 Einheiten als (Abwärme-)Verluste anfallen und 25 Einheiten Strom in der Wärmepumpe ankommen, ist völlig unrealistisch und daher Fake.

In der Realität (linke Seite) sind in einem Elektrizitäts-Kraftwerk nicht nur die physikalisch unvermeidbaren Verluste bei der Umwandlung von Wärme in mechanische Energie zu berücksichtigen, sondern auch die Abwärmeverluste am Generator sowie die Verluste durch Strom-Eigenbedarf beim Kohleabbau und die Transportverluste bei Überlandleitungen.

Christian Meyer zieht daher das Fazit: Elektrische Wärmepumpen erhöhen den Stromverbrauch in Deutschland drastisch. Laut einer Prognose der vier deutschen Netzbetreiber Amprion, TransnetBW, 50Hertz und Tennet in einer gemeinsamen Mitteilung vom 24.03.23 soll der Stromverbrauch in Deutschland von derzeit rund 550 TWh pro Jahr bis 2045 auf über das Doppelte ansteigen. Solche Pläne unter dem Stichwort "Sektorkopplung" zielen darauf, die Energie-Wende an die Wand zu fahren. In den vergangenen 40 Jahren konnte der Stromverbrauch in Deutschland auf dem Level von rund 550 TWh pro Jahr konstant gehalten werden. Im Sinne von Energie-Effizienz-Steigerung und Klimaschutz ist dringend eine deutliche Reduzierung des Stromverbrauchs auf rund 400 TWh pro Jahr vonnöten.

Zugleich warnte Christian Meyer davor, daß in den kommenden Jahren der Zubau von elektrischen Wärmepumpen und die propagierte Umstellung des Individualverkehrs auf Elektroautos den Stromverbrauch in Deutschland schneller ansteigen lassen könnte, als daß dieser Zuwachs durch einen Ausbau der erneuerbaren Energie aufgefangen werden kann. Dies hätte zur Folge, daß der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion von derzeit knapp unter 50 Prozent sinkt und daß in der Folge die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland ansteigen.

In einem Fazit seines Vortrags warnte Meyer davor, daß sowohl Atomenergie als auch Wärmepumpen "in die Sackgasse führen". Es wird ein finanzieller und volkswirtschaftlicher Schaden angerichtet, von dem nur wenige profitieren. Weiter würde so die Primärenergie-Effizienz auf der Strecke bleiben und zudem in Zukunft die Sicherheit der Stromversorgung gefährdet.

Dem stellt Meyer die Grundthesen seines Vortrags gegenüber:

1. Nutzen der bislang verschwendeten Abwärme für die Hausheizung bei gleichzeitiger dezentraler Stromerzeugung
Dies ermöglicht:

  • sehr hohe Energie-Effizienz
  • Heizenergie ohne zusätzliche Emissionen
  • enorme volkswirtschaftliche Vorteile
  • gesicherte Versorgung
  • schnelle Umsetzung (Finanzierung / Fachkräftemangel)

2. Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie um den Faktor größer 7

3. Beschleunigung des Ausbaus der Photovoltaik (vorzugsweise auf Gebäuden) ebenfalls um den Faktor größer 7

4. Bis Wasserstoff aus erneuerbaren Energien im für die Zukunft nötigen Umfang zur Verfügung steht, ist die Kraftwärmekopplung mit Erdgas-Einsatz und Nahwärme die erste Option.

5. Beim Erdgas sollte möglichst nach dem Vorbild Spaniens auf das Begleitgas aus der Erdöl-Förderung gesetzt werden.